„Das vergessene Mitglied“ – Teil V

Das vergessene Mitglied

„Was für ein Scheiß-Auftrag. So blöd bin ich mir schon lange nicht mehr vorgekommen.“
„Dauert doch nicht mehr lange, Alwilda. Und es ist halt Winter. Da muss man nehmen, was man
kriegt.“
„Genau. Und wenn der Graf Wachen für die Hochzeit seiner Tochter will, dann machen wir
es halt.“
„Wachen! Da sind wir genau beim Thema! Wachen! Aber das hier ist lächerlich!“
„Sei doch froh! Wir dürfen den ganzen Tag in Rüstung herum stehen. Du hast wenigstens
etwas Bequemes an.“
„Genau. Und wenn sie nun zu wenig Brautjungfern haben…“
„Und du willst doch nicht, dass Don Christo das anzieht. Und irgendwie steht dir dieses zarte
Rosa.“
„Pass mal auf Viertel! Noch so ein blöder Spruch von dir und du kannst auch als Brautjungfer
mitmachen!“
„Bin ja schon ruhig. Und auch weg. Bernulf hat beim Strohhalm ziehen verloren und muss jetzt
Greta erzählen, dass sie ebenfalls Jungfer spielen muss. Das lasse ich mir nicht entgehen.“

Während Viertelvor den Raum verlässt, wird Hombre ein neuer nasser Lappen auf die Stirn gelegt.
Er hatte vor lauter Lachen das Bewusstsein verloren. Eine Sache, die er später bestimmt noch
bitter bereuen wird.

Viele Kilometer weiter im Osten befindet sich ein vergessenes Mitglied der Gruppe auf seinem
ersten Auftrag. Er wurde von dem Grafen zu Marktbreit angeheuert, um eine Hexe, welche in
der Gegend wohnt, zu suchen und zu töten. Sie wird für viele Missgeschicke verantwortlich
gemacht. Vom sauer werdender Milch der Bauern bis zur Impotenz des Grafen. Und da ihm seine
Mutter schon beigebracht hat, dass Hexen böse Menschen sind, hat er auch nicht gezögert den
Auftrag anzunehmen. Da er sich ein wenig in Geldnot befindet, hat auch ein wenig zu seiner
Entscheidung beigetragen.

Und so hat er sich aufgemacht dieses Weib zu finden. Angst hat er keine. Immerhin ist er ein
Frankonier! Und Frankonier fürchten sich vor nichts und niemanden! Sie lachen dem Tod ins
Gesicht! Keine Herausforderung ist zu groß für sie! Kein Sold zu klein! Keine Verwundung zu
schlimm! Kein Pferd zu groß! Kein Regen zu nass! Keine Straße zu schmal! Kein Weib zu hässlich!
Kein Essen zu groß! Kein Fluss zu…
Weiter hat er in dem Heft „Hombres berühmte Ansprachen vor dem Kampf“ nicht gelesen.
Irgendwie hatte er den Verdacht, dass der Barde die Worte nicht ganz genau wiedergegeben hat.
Aber alles in allem war das schon sehr motivierend. Und so ist er mit seinen beiden Pferden los
geritten, um sich dieser großen Aufgabe zu stellen. Eine ungefähre Richtung hat er gesagt
bekommen. Nur nicht, dass es dabei in einen ziemlich dichten Wald geht. Aber auch das ist kein
Problem für ihn. Er hat ja seit letzter Woche schon Erfahrungen mit den Gefahren, die vor ihm
liegen. Womit er allerdings keine Erfahrung hat, sind Banditen, die sich aus den Bäumen von oben
auf ahnungslose Reisende fallen lassen.

Zumindest kann er aber in dieser Sache klein anfangen. Es ist nämlich nur ein einzelner Bandit
gewesen. Und der hat sich genau in dem Moment fallen lassen, als unser Jüngling etwas trinken
wollte und seinen Trinkschlauch fallen gelassen hat. Ein besseres Timing hätte es nicht geben
können. Der Schlauch fällt, er versucht noch ihn aufzufangen, bückt sich im Sattel nach rechts
unten, die Hüfte mit seinem Schwertgürtel liegt frei, der auf Langschwert geschliffene Zweihänder
mit der riesigen Parierstange schwingt nach oben und der Bandit durchbohrt sich fast komplett selbst damit. Also nicht mit dem Schwert, mit der Parierstange. Durch das Gewicht des Banditen fallen beide zu Boden, die Stute scheut und sucht ihr Heil in der Flucht, den Söldner hinter sich her
schleifend, welcher sich im Steigbügel verfangen hat. Das ist das Letzte, an das er sich
erinnert.

„Da hast du aber ganz schön Glück gehabt! Ich kenne den Burschen, der dich da überfallen hat.
Nennt sich selbst Blutschlitzer. Ist der Anführer einer Bande, die die Gegend bis nach Würzburg
unsicher macht. Hat schon Dutzende von Reisenden überfallen und getötet. Noch einen Tee?“
„Ja, gerne. Und ich hatte Glück, dass ihr mich gefunden habt. Und das ihr mein Pferd beruhigen
konntet. Sonst würde es mich immer noch hinterher ziehen.“
„Oh, mit Tieren komme ich gut klar. Aber jetzt sag mal, du bist ausgeschickt worden, um mich zu
finden und zu töten?“
Verlegen schaut der Söldner zu Boden.
„Das… Das ist mir jetzt ganz schön peinlich. Ich konnte ja nicht wissen, dass ihr eine sehr nette
Person seid. Irgendwie erinnert ihr mich an meine… Mutter…“
„Ist deine Mutter eine liebe Frau?“
„Das ist sie! Sehr liebevoll und oft liebevoll streng.“
„Dann nehme ich es mal als Kompliment an.“
„Warum sagen eigentlich die Leute von Marktbreit, dass ihr eine Hexe seid?“
„Ach weißt du, ich lebe hier im Wald alleine, sammel Kräuter, braue Tinkturen gegen alle
möglichen Zipperlein, sammel Pilze und Früchte und habe ein großes Wissen über die Natur.
Es gibt viele, denen ich damit helfe. Aber wenn dann mal was schief läuft, dann wird von den
Leuten die Schuld nicht bei sich selbst gesucht, dann ist es immer die Alte im Wald. Ich bin
schon lange am überlegen ob ich hier nicht einfach alles liegen lasse und zu meiner Tochter
nach Bayreuth ziehen soll.“
„Ihr habt eine Tochter?“
„Warum denn nicht? Nur weil man eine… „Hexe“ ist, muss man doch keine Jungfrau sein!“
Bei diesen Worten läuft der junge Söldner knallrot an.
„Sie hat mit ihrem Mann eine gut gehende Apotheke und sie hat mir schon oft gesagt, dass sie
Unterstützung gebrauchen können.“
Die Frau hält inne und überlegt einen Moment.
„Sag mal, willst du dir immer noch das Kopfgeld für mich verdienen? Und weißt du noch
wo die Leiche von dem Banditen ist?“

Am nächsten Morgen macht sich der kleine Söldner gestärkt von einem sehr guten Essen und einer
erholsamen Nacht wieder auf nach Marktbreit. Die Torwache staunt nicht schlecht, als sie ihn mit
seinen beiden Pferden anreiten sieht. Sofort wird er von einer der Wachen zum Grafen eskortiert.

„…es war ein harter Kampf! Die Hexe warf mit Feurbällen nach mir, hat die Tiere des Waldes gegen
mich aufgehetzt, ihre Schergen der Finsternis gegen mich geschickt! Doch wir von den Frankoniern
sind nicht so leicht in die Knie zu zwingen! 6 Stunden haben wir gekämpft, der Sieger steht vor
euch! Zum Schluss erwischte sie mein Schwert direkt durch ihr schwarzes Herz und sie zerfiel
vor meinen Augen zu Asche! Ihre Überreste findet ihr in ihrer Hütte im Wald. Und auf dem
Heimweg lief mir dann noch dieser Blutschlitzer in die Arme. Und nachdem ich eh gerade noch
in Kampfeslaune war, da habe ich ihn gleich mit erledigt.“
„Meine Hochachtung! Ich muss gestehen, ich habe im Vorfeld zwar die Geschichte von dem
Sieg über den Schwarzen Tod in Ochsenfurt gehört, konnte es aber nicht ganz glauben. Aber
anscheinend sind die Geschichten über die Frankonier doch wahr! Ihr zieht aus und vernichtet
die schlimmste Hexe, die je gelebt hat! Und auf dem Rückweg einfach so den Blutschlitzer!
Einen Banditen, der im ganzen Frankenland gesucht wird! Und an den sich niemand heran
getraut hat, da seine Bande blutigste Rache für alle geschworen hat die sich mit ihnen
anlegen! Und ihr tötet mit einem Handstreich das Oberhaupt der Bande! Herzlichen Glückwunsch!
Ihr habt unser geliebtes Land ein ganzes Stück sicherer gemacht und dem Wappen auf eurer
Brust alle Ehre erwiesen! Dafür habt ihr euch eure Belohnung wirklich verdient! Ich habe auch
schon Boten aussenden lassen mit der Bestätigung des Todes vom Blutschlitzer. Wartet ab, in
wenigen Monaten seid ihr einer der berühmtesten Söldnergruppen im Land. Eure Belohnung
habe ich bereits zu eurem Ross bringen lassen. Ich wünsche euch noch einen wundervollen Tag!
Feiert ein wenig!“

Während der Söldner aus den Toren der Stadt reitet hat er ein ganz schlechtes Gewissen. So dick
hatte er gar nicht auftragen wollen. Aber die nette Frau im Wald hat ihm gesagt, je mehr, desto
besser. Trotzdem findet er das nicht richtig. Vielleicht sollte er sie mal in Bayreuth besuchen, um
sich bei ihr zu entschuldigen. Und ihr vielleicht ein paar von den Goldstücken der Belohnung
abzugeben. Immerhin war das ganze ja ihre Idee. Aber das muss jetzt erst mal warten. Erst einmal
muss er genug Entfernung zwischen sich und diese Banditenbande kriegen. Und seine Kumpane
finden, um sie vor der bevorstehenden Gefahr durch die Blutrache zu warnen!

Bei seinen „Kumpanen“ wird inzwischen das Stück Fleisch auf Hombres Auge gewechselt.
Alwilda und Lady Lanzenbrecher stehen zähneknirschend in ihren rosa Kleidern neben der Braut,
während sich die Leibgarde des Grafen immer noch vor Greta fürchtet. Bernulf ist noch bei den
Priestern, welche ihm gerade den Verband wechseln.

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