„Das vergessene Mitglied“ – Teil II

Das vergessene Mitglied

Der Winter hat sich im Frankenland ausgebreitet. Dicke Schneeflocken fallen vom Himmel, fangen sich auf den Ästen der Bäume, bedecken die Landschaft und glitzern wie ein Sternenmeer am Boden, sobald die Wintersonne darauf fällt. Tiefer Frieden und Ruhe liegen in der kühlen Luft. Und mitten durch diese traumhaften Weiten zieht die unerschrockene und härteste Söldnereinheit Frankens durch den Schnee.

„Ist es noch weit, Hombre?“, „Meine Füße sind nass.“, „Ich hab Hunger.“, „Mir ist kalt.“, „Meine Rüstung rostet.“, „Meine Haare kriegen Locken.“, „Blöder Schnee.“….

Viele Kilometer in die entgegengesetzte Richtung erblickt ein junger Mann, ebenfalls zu Fuß, die ersten Ausläufer der Stadt Ochsenfurt. An seiner Hand führt er sein Pferd, welches immer öfter eine Pause braucht. Er hofft, dass er noch rechtzeitig in die Stadt kommt, bevor die Stute ihr Fohlen bekommt. Nachdem sie an den ersten Gehöften vorbei gekommen sind, stehen sie auch schon vor der Stadtmauer. Die Wachen beäugen ihn etwas misstrauisch, Söldner bedeuten nicht selten Ärger.

„Halt! Woher kommt Ihr und was wollt Ihr hier?“

„Ah! Seid gegrüßt edle Wachen! Ich bin von den glorreichen Frankoniern und will mich hier mit meiner Einheit treffen! Wisst ihr zufällig, wo sie hier untergekommen sind?“

„Frankonier? Hmmm… Noch nie gehört. Aber wenn sie in Ochsenfurt sind, dann sind sie bestimmt im Schwarzen Amboss. Da kehren sie alle ein. Versucht es mal dort.“

„Habt Dank! Und könntet ihr mir sagen, wo ich hier einen Stall finde? Mein Pferd braucht ein wenig Ruhe.“

„Einfach hier rechts den Weg runter.“

„Dankeschön.“

Der Frankonier folgt dem angegebenen Weg und die Stute ist schnell untergebracht. Er lässt sich vom Stallknecht noch den Weg zur Wirtschaft erklären und sitzt schon bald vor seinem ersten Krug Apfelsaft. Bier darf er noch nicht trinken, da hat seine Mutter etwas dagegen. Er ist etwas erstaunt darüber, wie viele Gerüstete sich hier aufhalten. Anscheinend haben sich hier doch einige Kämpfer für den Winter einquartiert. Lauter raue Gesellen mit derben Umgangsformen, lauten Stimmen und er glaubt riechen zu können, dass viele eine schlechte Körperpflege haben.

Einer dieser Leute sticht ihm aber besonders ins Auge. Jedes Mal, wenn die Schankmaid an ihm vorbei läuft, gibt er ihr einen Klaps auf den Hintern. Seine Mutter hatte ihm schon als kleines Kind beigebracht, dass Frauen mit Respekt zu behandeln sind, da sie sehr zierliche und schwache Wesen sind, welche Schutz benötigen. Und das hatte sie ihm bei der ein oder anderen Ohrfeige, die ihm die Ohren klingeln lies, doch sehr verinnerlicht.

Ein Mann, und ganz besonders ein Frankonier, muss zu seinen Prinzipien stehen! Und so will er diesen ungehobelten Kerl zur Rede stellen!

„…Entschuldigung?“

„Los, Klara! Noch eine Kanne Bier!“ -klatsch-

„…das ist sehr unhöflich…“

„Also Jungs, da nehme ich meine große Doppelblattaxt und treibe sie dem Typen genau zwischen…“

„HEY! Jetzt hört mir doch mal zu!!“

Schlagartig wird es ruhig im Raum. Fast 60 Augenpaare richten sich auf den jungen Mann in seiner schäbigen Lederrüstung.

„So könnt ihr doch nicht mit einer Frau umgehen!“

„Wer sagt das.“

„Na ich! Ein Frankonier!“

„Frankonier? Nie gehört. Aber hast du schon mal was von Berthold von Schweinfurt gehört? Das bin ich. Anführer des Schwarzen Todes.“

Ein Kloß entsteht in seinem Hals. Von denen hat er tatsächlich schon gehört. Und nichts Gutes.

„Äh, ja. Habe ich. Aber das gibt euch trotzdem nicht das Recht diese Frau so abfällig…“

„Wenn ich ihr auf den prallen Hintern hauen will, dann mache ich es auch! Oder willst du mich etwa daran hindern?“

„Nun ja, wenn es kein anderer macht und euch eure Mutter nie beigebracht hat, dass…“

Berthold erhebt sich langsam von seinem Stuhl. Immer größer wächst er vor dem doch eher kleinen Frankonier in die Höhe.

„Da will wohl einer eine kleine Lektion in Bescheidenheit haben! Zu wem gehörst du noch mal? Frankonier? Merkt euch das, Leute! Damit wir seinen Körper seinen Kameraden zukommen lassen können!“

Dieser Berthold sieht zwar furchteinflößend aus, aber der kleine Frankonier hat sich schon etwas überlegt. Er erinnert sich genau an die berühmte Kneipenschlägerei seiner Mitstreiter! Wenn der Gegner größer ist, dann musst du schneller und beweglicher sein! Er federt kurz in den Knien ab und will einen Satz über den Tisch machen, damit er mehr Platz für den bevorstehenden Kampf hat.

Der Tisch selbst ist nicht unbedingt ein Musterbeispiel der Schreinerkunst. Er besteht aus ein paar Holzbrettern, welche auf zwei Böcken liegen. Wären die Bretter auf den Böcken angenagelt gewesen, dann hätte der Sprung durchaus elegant werden können. Wenn sie allerdings nur lose aufliegen, dann greift doch das Hebelgesetz. Das Gewicht des jungen Mannes lässt das Brett nachgeben und er landet ganz unrühmlich auf dem Hosenboden. Das hochschnellende Brett hätte sich fast von den Böcken gelöst und wäre ihm auf den Kopf gefallen, wäre nicht Berthold im Weg gestanden. Jetzt haut so ein einfaches Brett einen Bären wie Berthold nicht einfach um. Der schwere Zinnkrug gefüllt mit Bier, welcher Berthold genau auf das Kinn schlägt, hat da schon eine ganz andere Wirkung. Wie ein gefällter Baum geht er zu Boden. Unser Protagonist rappelt sich vom Boden auf, sieht wie sich der Rest der Söldner um ihren gefallenen Anführer sammelt, und beschließt doch lieber einen taktischen Rückzug anzutreten.

Nachdem er eine Weile in Ochsenfurt herumgeirrt ist, da er den Weg zum Stall vergessen hatte, trifft er schlussendlich doch wieder bei seinem Pferd ein. Genauer gesagt, bei seinen 2 Pferden. Als er sich gerade seinen Sattel schnappen will, fällt ein Schatten auf ihn. Ein großer Schatten. Berthold.

„Hey! Frankonier!“

„Gulp…“

„Eines muss man dir lassen. Das war eine gewagte, aber gelungene Aktion. Mich mit diesem Brett außer Gefecht zu setzen, Respekt.“

„Gulp…“

„Sag mal, du hast nicht zufällig Lust bei uns mitzumachen? Ich suche immer schnelle Denker, die auch mal ein Risiko eingehen.“

„Öhm, ich bin erst ganz frisch bei den Frankoniern dabei. Da wollte ich eigentlich schon bleiben.“

„Das verstehe ich. Loyalität steht bei mir ganz hoch im Kurs. Aber ich darf euch doch zumindest empfehlen, wenn wir mal einen Auftrag nicht annehmen können?“

„Das wäre klasse! Vielen Dank!“

„Okay, und wenn du mal eine Luftveränderung brauchst, melde dich einfach. Ach ja, eine Frage noch. Warum bist du eigentlich mit einem Fohlen unterwegs?“

„Ähm, das ist noch ganz neu, und braucht nicht jedes Kind seine Mutter? Und nachdem ich mit der Mutter unterwegs bin, da nehme ich es halt mit.“

„Hm, das kann ich nicht beurteilen. Ich habe meine Mutter mit 8 Jahren umgebracht. Gleich nachdem ich meinen Vater aufgeschlitzt habe. Aber wenn du meinst… Dann wünsche ich dir eine gute Reise! Und lass dir nicht den Kopf abschlagen!“

So schnell wie möglich macht sich der junge Franke zur Abreise fertig, um so schnell wie möglich großen Abstand zwischen sich und diesem Berthold zu bringen.

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